Heute schrieben mehrere Medien über die Situation von Startups in Deutschland. Dabei sind mir ein paar Dinge sauer aufgestoßen, die ich gerne klarstellen möchte, wenn die Herren Wirtschaftsjournalisten das schon nicht hinbekommen.

Gründer = Startup = Rocket Internet?

Alles begann mit einem Artikel in der taz, den ich las:

Gründe zum Gründen
Von der Uni ins eigene Unternehmen: Die Start-up-Branche wächst, 2016 soll das 50.000 neue Jobs bringen. Die meisten Gründer sind Männer.
Quelle: taz.de


Da regt mich mal wieder auf, dass in den Medien oft die Begriffe Gründer und Startup als Synonym verwendet werden. Dabei gibt es da große Unterschiede. Die Wikipedia sagt dazu:

Startup-Unternehmen (oder kurz Startup bzw. Start-up) ist ein wirtschaftsgeschichtlich verhältnismäßig neuer Anglizismus zur Bezeichnung eines jungen Unternehmens, das durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet wird: Es hat eine innovative Geschäftsidee und es wird mit dem Ziel gegründet, schnell zu wachsen. Oft haben die Gründer und Investoren die Absicht, das Unternehmen nach wenigen Jahren auf dem freien Markt anzubieten, entweder einem etablierten Großunternehmen durch Beteiligung oder Übernahme oder vielen Aktionären durch einen Börsengang.


Später stieß ich dann auf einen Artikel bei heise.de, aus dem hervorgeht, woher die Nachricht vermutlich stammt: vom Startup-Verband.

Startup-Monitor 2015: Gründer sind international, zufrieden, männlich und brauchen Geld
Der Startup-Monitor will einen Überblick über die deutsche Gründerszene geben. Das Ergebnis: Die Szene ist sehr international, Wachstumsfinanzierung ist eine Baustelle, Gründerinnen bleiben in der Minderheit und die FDP steht besonders hoch im Kurs.
Quelle: heise.de


Statistik Gründer und Startups

Zeit ein wenig auf die Zahlen zu schauen: Florian Nöll vom Startup-Verband und Sven Rispas, Professor für Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, schätzen, dass es in Deutschland etwa 6.000 Startups gibt. Rund ein Drittel der Startups sollen in Berlin sitzen; weitere wichtige Gründungszentren seien München und Hamburg sowie die Regionen Rhein-Ruhr und Stuttgart-Karlsruhe.

Der Frauenanteil liege bei 13 Prozent. Laut Sven Rispas wollen die "Junggründer" - gemeint sind Startups - im kommenden Jahr 50.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen.

Demgegenüber stehen laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) jährlich(!) etwa 306.000 Neugründungen im Vollerwerb. Hinzu kommen nochmal 562.000 Gründerinnen und Gründer im Nebenerwerb. Weiter erfährt man beim BMWi, dass durch Neugründer 2013 rund 419.000 vollzeitäquivalente Stellen geschaffen (plus 9 Prozent gegenüber 2012) wurden.

Und auch die Frauenquote sieht beim BMWi ganz anders aus: 43 Prozent. Selbst wenn man nur die Vollerwerbsgründungen betrachtet, so nennt das BMWi hier einen Frauenanteil von 33%. Sicher: Das ist ausbaufähig, aber gibt schon ein ganz anderes Bild ab als die 13 Prozent, die der Startup Verband nennt.

Wollen Startups ihre Praktikanten ausbeuten?

Und dann gibt es da noch einen Punkt, der stark nach Lobbyarbeit des Startup Verbands klingt. Die Taz schreibt, dass Startups meistens keine ausgebildeten Spezialisten einstellten, da es keine Ausbildung für die spezifischen Anforderungen der digitalen Wirtschaft gebe. Die Startups werben also Studienabgänger an, stellen sie als Praktikanten ein und lernen sie dann an. Weiter geht es im Artikel bei heise.de: Dort klagt der Startup Verband darüber, dass für Praktikanten der Mindestlohn gelte.

Dazu muss man erstens sagen, dass es schon immer so war, dass das Studium nicht wirklich auf den Beruf vorbereitet. Man erarbeitet sich solide Grundkenntnisse und bekommt auch ein wenig Handwerkszeug an die Hand, aber zu Beginn jeder neuen Stelle steht nunmal die Einarbeitung und das Learning-on-the-Job. Je nach Aufgabenbereich kann die Einarbeitung mehrere Monate bis zu einem Jahr betragen. Und das ist nicht nur nach dem Studium so, sondern auch bei jedem Jobwechsel. Dafür bekommt man ein Einstiegsgehalt, dass nach der Einarbeitungsphase steigt.

Zweitens muss ich die Behauptung richtig stellen, dass für Praktikanten der Mindestlohn gelte. Das stimmt so nicht. Im Praktikumsportal der IHK kann man das genau nachlesen und erfährt: Für Pflichtpraktika im Rahmen von Schule, Ausbildung oder Studium gilt der Mindestlohn nicht. Anspruch auf Mindestlohn haben aber Praktikanten außerhalb einer Ausbildung, insbesondere wenn sie über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Studienabschlus verfügen.

Und genauso ist es richtig! Ich finde es eine Frechheit und es ist echte Ausbeutung, wenn Unternehmen Studienabsolventen als Praktikanten einstellen und ihnen noch nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn zahlen wollen. Erschreckend ist dabei, dass die frisch gebackenen Absolventen das auch noch mitmachen...

Der Wirtschaftsjournalismus macht es sich zu einfach

Insgesamt würde ich mir eine bessere Berichterstattung wünschen und weniger Nachgeplapper von PR-Meldungen. Mit ein-zwei Google-Suchen hat man die obigen Infos zusammen. Mindestens das erwarte ich von einem Wirtschaftsredakteur.

Auch nervt die ewige Verkürzung Gründer = Startup = Rocket Internt. Das tut der Sache nicht gut. Ja, GründerInnen und ihre Gründungsgeschichten gehören in die Presse, denn wir brauchen mehr GründerInnen. Aber dann bitte mit den echten, realistischen Geschichten. Beispiele wie Amazon und Erfolgsstories von diversen Startups, die von Rocket Internet oder irgendwelchen Business Angels gefördert werden, geben ein völlig falsches Bild einer Gründung ab und bringen keinen Gründer weiter. Ja, ich behaupte sogar: Sie führen zu falschen Vorstellungen und in der Konsequenz viele Gründer zum Scheitern.




    Kommentare
    #1 Tom am 09/23/15 um 01:28
    Hallo Ansgar,

    guter Artikel!

    Da ist natürlich auch viel Effekthascherei auf Seiten der Journalisten mit dabei - Startups die mega abgehen machen mehr her als ein kleiner Gründer.
    #2 Tim am 09/23/15 um 02:22
    Hallo Ansgar,

    feiner Artikel!

    Ich bin selbst Gründer und kann bestätigen, dass in vielen Presseartikel Begriffe durcheinadner geworfen werden. Dabei Frage ich mich immer: Wollen die Journalisten ein falsches Bild der Gründerszene zeichnen oder sind die einfach nur dumm? Deswegen lese ich super gerne in Gründerportalen oder Gründerblogs, in denen Gründer für Gründer schreiben. Die wissen wenigstens, warum es geht. Und wie man googelt.

    Schöne Grüße
    Tim

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